Nachhaltigkeit ist kein Hexenwerk
HORTUS - Herzog & de Meuron, Zürich
„HORTUS“ ist nicht nur das lateinische Wort für „Garten“, diesen Namen trägt auch das neueste, zukunftsweisende Bürohausprojekt der Architekten Herzog & de Meuron, das zurzeit in Allschwil bei Basel entsteht. HORTUS verweist aber nicht nur auf den üppig begrünten Innenhof, um den herum sich der Bau entwickelt, sondern ist auch Akronym für „House of Research, Technology, Utopia and Sustainability“. Und der Name ist hier Programm, denn der innovative Holzbau hat eine ganze Menge an bahnbrechenden ökologischen Ansätzen zu bieten.
Eine neue Generation von Technologieunternehmen mit ökologischem Bewusstsein wird hier ihre passende, moderne, kommunikative und flexible Arbeitsumgebung finden. „Der Bau soll genug Sonne ernten, um die verbaute Energie in einer Generation zurückzuzahlen. Danach soll er als Kraftwerk weiterleben und schließlich auf dem Kompost enden“, so der ausdrückliche Wunsch der Bauherrschaft Senn Development AG. Nachhaltigkeit als wichtiges Qualitätsmerkmal und fundamentaler Unternehmenswert sind für Herzog & de Meuron längst Programm. Klimaneutral zu bauen ist eine architektonische Herausforderung, unter der unbedingten Berücksichtigung ökologischer Bauprinzipien. Das bedeutet Innovation und lösungsorientiertes Design immer wieder neu zu denken, maßgeschneidert für den jeweiligen städtebaulichen, geographischen und kulturellen Kontext eines Projekts. Mit HORTUS wurde das Thema bauökologische Nachhaltigkeit zum ersten Mal so richtig auf die Spitze getrieben. Die einzige Vorgabe an die Architekten war, ein Bürogebäude mit flexibler Nutzung und eine Mindestquadratmeterangabe als Bauaufgabe.
Der Bau soll genug Sonne ernten, um die verbaute Energie in einer Generation zurückzuzahlen. Danach soll er als Kraftwerk weiterleben und schließlich auf dem Kompost enden.
Anstelle eines üblichen Raumprogramms waren sieben Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen Energie, Soziales, Finanzen, Gemeinschaft, Business, Ressourcen und Biodiversität zu erreichen.
Diese unkonventionelle Herangehensweise stellte den üblichen Entwurfsprozess kurzerhand auf den Kopf und die Planer vor eine große Herausforderung, wie HORTUS-Projektleiter Architekt Alexander Franz erzählt: „Der gewohnte Ablauf vom Bauherrenprogramm, dessen Analyse, dem Planungskonzept, Überlegungen über Konstruktion und Materialität bis zur Entwicklung eines entsprechenden Bauteils wurde umgekehrt: Was folgte war eine 7 Monate lange analytisch-akademische Materialanalyse zur Entwicklung eines Deckenelements, das die Umsetzung des Projekts erst möglich machte“. Auf diesem außergewöhnlichen Weg war die Senn AG nicht nur kongenialer Partner, sondern vor allem auch der ideale Bauherr.
Die bauökologische Zielsetzung bedeutete nicht nur den Einsatz möglichst weniger Materialien, sondern beeinflusste auch die Konstruktion, die leicht demontierbar und damit wiederverwertbar sein sollte. Unter Verwendung von Holz, Lehm, Zellulose, Glas und Photovoltaikpaneelen entsteht der mehrgeschoßige Holzrahmenbau nach einem modularen Raster. „Um genügend thermische Masse in den Holzbau zu kriegen, da wir auf Beton verzichten, haben wir selbst gemeinsam mit ZPF-Ingenieuren aus Basel ein entsprechendes Bauteil entwickelt“, erzählt Alexander Franz. Das Mockup hierzu entstand gemeinsam mit dem Lehmbauspezialisten Martin Rauch. In einem Holzrahmen wurden Massivholzbalken eingelegt, dazwischen Stampflehm in Form eines Gewölbes eingebracht.
Der verdichtete Lehm erfüllt den Brandschutz, dient im Sommer als thermische Masse, kann Feuchtigkeitsschwankungen ausgleichen und sorgt für ein behagliches und gesundes Klima. Ein weiterer Vorteil: der Lehm stammt aus dem Aushub der Baugrube, der Kies vom nahen Schüttwerk. „In einer auf dem Nachbargrundstück errichteten Feldfabrik werden zurzeit die Elemente vor Ort produziert und noch feucht versetzt“, zeigt sich Alexander Frank begeistert von der Lösung, die zehn Mal weniger CO2-Emissionen verursacht als eine konventionelle Flachdecke aus Beton.
Und die hohen Produktionskosten?
„Nachhaltigkeit gibt es heute leider noch nicht umsonst. Das schreckt möglicherweise viele Investoren ab. HORTUS ist auch insofern ein Leuchtturmprojekt. So viel Recherche muss ein Investor als Bauherr allerdings erstmal auch zu finanzieren bereit sein“. Die Senn AG war dazu bereit. Der CO2 Abdruck der innovativen Deckenkonstruktion beträgt 10% einer Stahlbetondecke – eine wirklich erhebliche Verbesserung und Reduktion des energetischen Abdrucks. „Ziel ist es, die Decke irgendwann zum Preis einer Stahlbetondecke produzieren und handeln zu können, über Massenproduktion“, unterstreicht Franz. „Das ist die nachhaltige, die gesellschaftliche Zielsetzung – und genau hierfür steht eigentlich das Projekt. Es wäre schön, wenn als Resultat unserer Bemühungen, diese Decke massenhaft weltweit kopiert würde und in Serienproduktion ginge“. Aus einem Spin-Off an der ETH Zürich, die aus Eigeninitiative ein Deckenelement mit einem Roboter gestampft hatten, ging mittlerweile tatsächlich bereits das Unternehmen Rematter AG hervor, das nun versucht, eine Abwandlung der HORTUS-Decke marktreif anzubieten. „Das könnte ein Anfang sein“, freut sich Franz, „Denn diese Decke ist ja auch kein Hexenwerk“. Für das HORTUS Gebäude wurden die Unternehmen Lehm Ton Erde von Martin Rauch und die Holzbauspezialisten Blumer Lehmann zusammen für die Produktion der Decke beauftragt.
Die industrielle Produktion könnte ein Anfang sein, die HORTUS-Decke marktreif anzubieten“, freut sich Franz, „Denn diese Decke ist ja auch kein Hexenwerk“.
Alle Baumaterialien untersuchte man auf ihre ökologischen und physikalischen Eigenschaften, eingesetzt werden nachwachsende Rohstoffe möglichst natürlichen Ursprungs. Verwendete Bauteile werden nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip so katalogisiert, dass sie in einer fernen Zukunft wieder in das ökologische Kreislaufsystem rückführbar sind. Für die Toilettenspülung wird Regenwasser genutzt. Geheizt wird mit Fernwärme aus Geothermie, die nötige Energie wird über Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an den Fassaden erzeugt. Und die Photovoltaik schafft so viel Überschuss, dass die graue, für die Errichtung von Hortus benötigte Energie, innerhalb von 31 Jahren amortisiert sein wird.
Gebaut wird in Holz aus dem Schwarzwald, um Transportwege möglichst kurz zu halten. Massivholz kommt bei den Sekundärträgern in der Decke zum Einsatz, Primärträger und Stützen sind aus Stabschichtholz. Man verzichtet auf Beton, Gipskarton, Kunststoffe, Klebstoffe, oder Metall. Die Holzrahmenkonstruktion wird ohne Metallverbindungen Holz in Holz gesteckt. Die kompakte Gebäudeform, die auf eine Unterkellerung verzichtet, bringt den Bau über dem Boden zum Schweben. Die unter dem Gebäude zirkulierende Luft wird zur Temperaturregulierung im Gebäude genutzt.
„Nachhaltigkeit ist die neue Ästhetik“, wie Jacques Herzog zu sagen pflegt.
Zellulosefaser aus rezykliertem Altpapier wird für die Wärmedämmung der Fassadenelemente genutzt, Stroh für die Dämmung unter Dach. Wegen der Brandschutzbestimmungen musste man für die Fluchtstiegenhäuser auf Holz verzichten und entschied sich für wiederverwertbaren Stahl. Auch der Aspekt der Zirkularität blieb nicht unbeachtet, Altholz aus der Bauteilbörse etwa findet sich im Unterdach. Die Entscheidung gegen eine Vollverglasung der Fassade half, den Glasanteil drastisch zu reduzieren, die Wahl einer Zweifachverglasung konnte ihn noch weiter senken. Selbst das Glas der PV-Anlage ist aus europäischer Herkunft, die Energie für die Glasproduktion aus erneuerbaren Quellen. Allein die Solarzellen sind aus China, allerdings wird auf Aluminiumrahmen verzichtet. Die Paneele selbst bilden das Walmdach aus. Die Unterkonstruktion ist ein klassisches Pfettendach, auf das die rahmenlosen PV-Module direkt auf die Lattung draufgeklickt werden. Die PV-Paneele an allen Fassaden des freistehenden Gebäudes sind auf einer Holzkonstruktion aufgehängt. Für den Innenausbau gibt es einen Baukatalog und es wurde ein demontierbares Trennwandsystem als gedämmte, mit Akustikpaneelen beplankte Holzständerwand entwickelt.
Die Mieter – so wünscht sich der Bauherr – sollen sich verpflichten, das Trennwandsystem und weder Gipskarton noch Glas für den Innenausbau zu verwenden.
Erschlossen wird der Bau über den zentralen Innenhof, das grüne Herz des Projekts. Auch die Fassaden sind hier begrünt; das hochrankende Laubgehölz soll CO2 filtern, im Sommer vor den Fenstern die Sonneneinstrahlung abhalten und sie im Winter bis in die Innenräume lassen. Ein Biotop, in dem Regenwasser gesammelt wird, sorgt für angenehmes Mikroklima, wird zum Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Die hohe Aufenthaltsqualität soll die Mitarbeiter zum Innehalten und Verweilen einladen.
Mit Materialien zu experimentieren, sie anders einzusetzen als üblich, begleitet Herzog & de Meurons Planungen seit jeher. „Wir müssen nicht ausnahmslos alles in Holz bauen“, sagt Alexander Franz. „Nachhaltigkeit zeigt sich vor allem in Langlebigkeit, und die erreicht man durch absolute Flexibilität und Umnutzbarkeit. Das zeichnet gute, nachhaltige Architektur aus. Und Nachhaltigkeit ist die neue Ästhetik, wie Jacques Herzog zu sagen pflegt“.
Alexander Franz von Herzog & de Meuron, Zürich wird in unserem Nachhaltigkeitsforum am 21.10. um 13:00 Uhr mit einem Vortrag das HORTUS Gebäude und die Bauteilentwicklungen im Detail vorstellen. Hier zum Programm des 21.10 im Rahmen des Nachhaltigkeitsforums.
Christine Müller ist freie Publizistin, geboren in Wien. Kunstgeschichtestudium an der Uni Wien (Dr. phil.). Wissenschaftliche Forschungen u.a. in Rom für die Österreichische Akademie der Wissenschaften zur italienischen Architektur der Zwischenkriegszeit. Journalistische Tätigkeit zu Architektur und Kunst für in- und ausländische Medien. Kuratorin diverser Publikationen und Ausstellungsprojekte. Von 2002 Fachredakteurin im Österreichischen Wirtschaftsverlag der Architekturfachzeitschrift Architektur & Bau Forum und dessen Chefredakteurin von 2012 bis zur Einstellung Ende 2020.
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