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Arthur Mamou-Mani

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Am Abend des 11. August 2018 setzte ich meinen Fuß erstmals auf „Playa“-Sand. Ich war angekommen in der Black Rock Desert und Mitglied der „Burning Man“-Temple Crew. Wo über die nächsten Tage und Wochen 70.000 Menschen eine temporäre Festivalstadt aus dem Nichts entstehen lassen würden, herrschte zu diesem Zeitpunkt weite Leere.

@Christine Bärnthaler. Die Black Rock Desert ist ein magischer Ort jenseits jeglicher Zivilisation. Alles, was für den Bau von Kunstwerken, des Tempels oder des Mans, alles, was zum Leben benötigt wird, muss selbst organisiert und mitgebracht werden.

Burning Man Festival @Blackrock Desert
Jährlich zieht das Kunstfestival Burning Man 70.000 Menschen in die Black Rock Wüste Nevadas. Binnen weniger Tage entsteht eine temporäre Stadt aus Zelten und Wohnmobilen, die gänzlich ohne Geldverkehr, dafür Tag und Nacht mit einem reichhaltigen Angebot von Kunst-Installationen und Events agiert. Am Ende des 9-tägigen Festivals wird der Ort akribisch von Rückständen gesäubert und das Gebiet in seiner ursprünglichen Form wieder verlassen. Als Highlights des Festivals gelten die beiden „Burns“ – Man Burn und Temple Burn. Während der Man seitens des Veranstalters jedes Jahr neu gestaltet, errichtet und mit einer spektakulären Feuer- und Feuerwerks-Show und anschließender kollektiver Party verbrannt wird, ist der Tempel das stille und spirituell angehauchte Gegenstück.

Galaxia Tempel 2018
Das Tempel Design wird über ein Wettbewerbsverfahren ausgewählt. Der Architekt zeichnet verantwortlich für die Finanzierung, die Konstruktion und Sicherheit, die Tempel Crew bestehend aus Freiwilligen, den Burn und die Aufräumarbeiten. Der Tempel ist ein Community Projekt. 2018 wurde erstmals in der Geschichte des Burning Man Festivals (seit 1986) das Tempel Design an einen Nicht-US Architekten/Künstler vergeben. Der in London lebende, in Paris geborene Architekt Arthur Mamou-Mani konnte den Wettbewerb mit einem vulkanförmigen Raumfachwerk für sich entscheiden. Mit 60 m Durchmesser und 20 m Höhe war „Galaxia“, so der Name des Tempels, die größte, im Rahmen des Festivals je konstruierte Tempelkonstruktion. 140 Freiwillige, Großteils ohne handwerkliche Ausbildung, arbeiteten drei Wochen unter der Wüstensonne Nevadas am Bau des Tempels.

Konstruktionsprinzip - ToDo
7.200 Latten und Kanthölzer warteten bei meiner Ankunft mit eindeutigen Positionsnummern darauf, ihren Platz in dem parametrisch entworfenen Konstrukt einzunehmen. Die Hölzer wurden zu Dreiecken verschraubt, teils mit Stahlplatten an den Ecken verstärkt. Jeweils sechs Dreiecke formten ein Raummodul. Zwanzig dieser Module bildeten einen gekrümmten Raumträger - "Banane". Insgesamt 20 dieser Bananen formten im Verbund schließlich den Tempel. Entsprechend der statischen Belastung verjüngten sich sowohl die Dimensionen der Raumträger vom Boden bis zur Spitze des Tempels wie auch die Dimensionen der Konstruktionshölzer. In drei Bauetappen: lower crown, upper crown und bananas, entstand binnen drei Wochen durch die gemeinsame Arbeit einer aus aller Welt stammenden Crew dieser beachtliche Tempelbau. Das gesamte parametrische Fachwerk wirkte in sich aussteifend. An den bodenberührenden Punkten stabilisierten Anker die Position. Zugbänder führten die Kräfte unter dem Sand zurück in die Mitte der Konstruktion. Scheinbar schwebend, wie ein gelandeter Körper, ruhte der schattenspendende Galaxia-Tempel im Sand. Die parametrisch, hochpräzise als 3D Struktur am Computer geplante Konstruktion wich am Ende - trotz amateurhafter Ausführung mit günstigem Bauholz und tausenden von Schrauben  - nur wenige Zentimeter von seinen Planmaßen ab.

Österreichisches Gastspiel - Holznagel Lignoloc
Auch einen Österreichischen Beitrag enthielt der Tempel: den Holznagel. Da eines der zehn Prinzipien des Burning Man Festivals „Leave no trace“ heißt (keine Spuren hinterlassen), gilt es sowohl während der Bauarbeiten wie auch im Anschluss an den Burn auch die kleinsten Rückstände aus dem Wüstensand aufzuklauben. Alle nichtbrennbaren Elemente des Tempels, insbesondere alle Schrauben und Nägel, werden über mehrere Tage nach dem Abbrennen des Tempels mit Magneten aus dem Sand gefiltert. Die Vorstellung, den Tempel mit einer stoffreinen Holz-Holz Verbindung, dem Holznagel der Firma Beck Fastener aus Österreich, bauen zu können, faszinierte Mamou-Mani. Am Ende waren die Holznägel zwar für den Tempelbau zu klein dimensioniert, für den Bau von Bänken und Fahrradständern aber kam er zum Einsatz.

Am letzten Festivaltag, dem Tag nach dem "Man Burn", am 3. September, wurde der Tempel in Stille verbrannt.

@James Percy. Galaxia Tempel in der Nacht des "Man Burn".

Der Architekt
Arthur Mamou-Mani, in Paris geboren, in London lebend, gehört der zweiten Generation algorithmisch denkender und entwerfender Architekten an. Er beschränkt sich nicht auf die digitale Gestaltung, sondern nimmt über den Hebel der digitalen Fabrikation direkten Einfluss auf das Resultat. Er ist planendes und ausführendes Unternehmen zugleich. Die Schnittstelle zwischen Planung und Ausführung im Sinne der Datenübertragung an einen Dritten entfällt. Vielmehr wird genau dieser Bereich, die Programmierung und Steuerung der Fabrikation in ihrer Wechselwirkung mit dem digitalen Zwilling, zum eigentlichen Kern der Arbeiten. Ähnlich einem Rennstall, in dem Fahrer und Techniker gemeinsam das Limit eines Rennautos pushen, wirken Design, Material, Produktionswerkzeuge und vor allem auch die Programmierung gemeinsam auf das Resultat und dessen Optimierung ein. Dieser Kernbereich ist eine kontinuierlich wachsende Zone, in der neue Plug-Ins, Open Source-Datensätze, Programme und Netzwerke herangezogen werden, um die präzise Steuerung des digitalen Produktionsinstruments über den sogenannten G-Code anzupassen. Dabei muss erwähnt werden, dass die Programmiersprache hier keine codierte mehr, sondern eine visuelle und damit intuitive ist.

... als Unternehmer
Der Schulterschluss von Planung und Produktion führt in dessen Konsequenz schließlich auch zum Unternehmertum. Neben seinem Architekturbüro betreibt Arthur Mamou-Mani ein FabPub mit 3D-Druckern und Lasercutter, das auch für Produktionen angemietet werden kann und wo auch Kurse angeboten werden. Wirtschaftliche Aspekte, die im Normalfall dem Designprozess gegenüberstehen, wie Finanzierung und Kostenkontrolle, Anschaffung und Wartung der Maschinen, Materialauswahl und -verbrauch, werden neu bewertet und im Design berücksichtigt. Material, als externer Kostenfaktor, wird möglichst sparsam, entsprechend den Kraftflüssen eingebracht und dimensioniert. Leichte Konstruktionen werden massiven vorgezogen. Und schließlich bleibt am Ende dann auch die Materialethik in der Hand des Architekten.

Szenenwechsel: Conifera. Salone del Mobile. Milano
Anlässlich des Salone del Mobile 2019 realisierte Mamou-Mani für die Modemarke COS in Mailand seine bislang größte digital gefertigte Installation. Alle erwähnten Aspekte sind in dieser Installation klar ablesbar. Die Grenzen der internen Produktion werden über eine modulare Konstruktion und durch partnerschaftliche Einbeziehung des Netzwerkes, in diesem Fall des italienischen 3D-Drucker-Herstellers WASP, ausgeweitet. Mithilfe von drei zusätzlichen 3D-Druckern in Mailand, Venedig und Macerata konnten an vier Standorten binnen einer eng kalkulierten Produktionszeit von nur acht Wochen 700 korbartige Module produziert und als 25 Meter lange Installation im Palazzo Isimbardi installiert werden. Die Drucke wurden als 2D-Fachwerke aus transparentem und mit Holzfasern angereichertem, kompostierbarem Bioplastik gefertigt und manuell zu 3D-Fachwerkskörpern gelötet. Dabei dauerte die handwerkliche Arbeit etwa genau so lange wie die digitale. Erst im Zuge der Produktion wurden die Fachwerkskörper hinsichtlich ihrer Dimension optimiert. Eine Reihe von sechs Modulen mit unterschiedlicher statischer Belastbarkeit wurde letztlich entwickelt und eingesetzt. Insgesamt wogen die 700 „Bio-Bricks“ 3,2 Tonnen und enthielten eine Summe von mehr als zwei Millionen Stäben. Die Installation zeigt sich soft und filigran mit einer Randnotiz zu erneuerbaren Materialien. Es bedarf eines visionären Blickes oder eines Gesprächs mit Arthur, um die größere Idee hinter dieser Installation und seiner Arbeit mit digitaler Fabrikation zu sehen.

©COS und Mamou-Mani. Arthur Mamou-Mani's Installation "Conifera" mit COS zum Salone del Mobile in Mailand 2019. Modulare, 3D-gedruckte Elemente aus kompostierbaren Bio-Polymeren.

Visionäre Ziele
Es bedarf eines visionären Blickes oder eines Gesprächs mit Arthur, um die größere Idee hinter dieser Installation und seiner Arbeit mit digitaler Fabrikation zu sehen. Auf die Frage, wie er denn heute, wäre er dazu beauftragt, ein Hochhaus oder eine Wohnanlage bauen würde, verweist er auf das gemeinsame Projekt mit ARUP „The DNA Blockchain“. Der Gedanke, Architektur mit dem 3D-Drucker zu produzieren, steht für ihn hinter der Notwendigkeit, Architektur rückbaubar zu gestalten. Auch das Skalieren eines Knickarmroboters in eine Dimension, die dem Hochbau gerecht werden könnte, sehen Mamou-Mani und ARUP in ihrem gemeinsamen Statement zum Projekt nicht. Anstelle dessen hat das Studio Mamou-Mani einen ersten kabelgetriebenen Roboter entwickelt: „Polibot“. Der selbst entwickelte und vorerst als Ausstellungsobjekt für das Sir John Soane’s Museum konstruierte Roboter ging als Preisträger des „No.8@arup“-Wettbewerbs hervor. Der Roboter ist in diesem Fall als eine Art mitwachsender Baukran konzipiert. Seine Aufgabe besteht nicht in der Konstruktion von Wohneinheiten, sondern im Arrangement einzelner Units, sowohl was das Hinzufügen, wie auch das Entfernen von solchen modularen Bausteinen betrifft. Der Konstruktionsroboter bleibt damit fixer Bestandteil des Bauwerks. Die Einheiten selbst werden dezentral produziert und sind energieautark ausgebildet. Auf Betonkerne für eine vertikale Erschließung soll gänzlich verzichtet werden. Auch diesbezüglich wird eine kabelbetriebene Anlage zugunsten eines Bauwerks vollständig ohne Verwendung von Beton bevorzugt.

Die Frage nach der Zukunft des Bauens ist aufgeworfen. Zweifelsohne liegt diese im Bereich der digitalen Fabrikation. Volksschulkinder können völlig intuitiv mittels visueller Programmiersprache Roboter programmieren und anhand von Bausätzen auch einfache Knickarmroboter basteln. In anderen Branchen ist die Robotik seit Jahrzehnten fest etabliert. Arthur Mamou-Mani agiert am Front-End der digitalen Fabrikation. Er unterrichtet an der University of Westminster. Zu seinen Studenten zählte auch Andrei Jipa, der als Doktorand an der ETH federführend am DFAB HOUSE der Empa mitwirkte.

@Tom Ryley. The Polibot. Vom Studio Mamou-Mani entwickelter Roboter, Preisträger des No.8@arup-Wettbewerbs.

Arthur Mamou-Mani’s Arbeiten sind mehrfach preisgekrönt. Er zählt international zu den vielversprechendsten Nachwuchs-ArchitektInnen und zu den Vorreitern im Bereich digital und parametrisch entworfener und produzierter Architektur.

Mamou-Mani Architects
England
Arthur Mamou-Mani

+44 7910417858


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